Montag, 26. Oktober 2015

Wann haben wir aufgehört Rory zu sein und angefangen, uns wie Lorelai zu fühlen?

Gestern habe ich zehn Stunden in Stars Hollow verbracht. Indirekt. Tatsächlich saß ich an diesem schönen Sonntag zehn Stunden lang vor meinem Fernseher und habe mir in dieser Zeit die ersten elf Episoden der Gilmore Girls angeschaut. Es ist Ende Oktober und somit Zeit für den jährlichen Rewatch. Normalerweise schaue ich pro Session ca. drei bis vier Episoden, aber dieser Sonntag erschien mir 
perfekt für einen Marathon, zumal ich immer noch sehr aufgeregt bin wegen der Ankündigung eines Revivals vor ein paar Tagen!

Wenn man mich nach meiner absoluten Lieblingsserie fragt, dann werde ich vermutlich Gilmore Girls antworten. Und auf die Frage: Wird das nicht irgendwann langweilig, wenn man a) die Serie jedes Jahr wieder schaut und b) elf Episoden am Stück? kann ich ganz klar antworten: Absolut. Nicht. Denn nicht nur ist man mit sieben Staffel einfach gut beschäftigt und vergisst gerne so manche Storyline oder manches Detail, wenn man am Ende angekommen ist. Ich finde vor allem, dass man jedes Jahr etwas neues lernt, mitnimmt und sich der Fokus von Mal zu Mal verschiebt. Das geht mir mit keiner anderen Serie so. Und dieses Jahr ist mir besonders aufgefallen, wie sehr sich mein eigener Blickwinkel auf die Gilmores verändert hat. Was im Rückschluss vermutlich einfach heißt, dass ich mich selbst seit meinem letzten Rewatch stark verändert habe. 

Der Beginn des Phänomens Gilmore Girls liegt inzwischen fünfzehn Jahre zurück. Meine erste Stars Hollow Phase hatte ich vor ca. zehn Jahren, als ich also im selben Alter war wie Rory. Das, was sie erlebt hat und durchmachen durfte / musste, war das, was ich ebenfalls kannte. Schule, Freundschaften, Jungs. Ihre Angewohnheit, immer mit einem Buch vor der Nase herumzulaufen, Kaffee zu trinken und ein wenig socially awkward zu sein - all das sah ich natürlich auch in mir. Ich war Rory Gilmore und wuchs mit ihr auf. Zwar ging ich nicht auf eine Elite-Uni wie Yale, aber auch ich hatte den großen Plan, Journalistin zu werden. Rory war mein Spirit Animal, wenn man so will. Und bis letztes Jahr konnte ich mich auch immer noch sehr mit ihr identifizieren. Als ich es mir gestern aber mit meiner großen Kanne voller starkem Kaffee gemütlich machte und die erste Episode über den Bildschirm flimmerte, kamen mir Rorys Geschichte, ihre Problemchen und auch ihre niedliche Verliebtheit plötzlich ein wenig kindisch vor. Zu Recht natürlich, immerhin ist sie ja auch erst sechzehn. Ich verlagerte also meinen Fokus auf Lorelai, zum ersten Mal bewusst. Und siehe da: Irgendwie erschien mir ihr Leben plötzlich viel näher dran an meinem. Natürlich habe ich keine 16-jährige Tochter, aber mit ihren 32 ist Lorelai inzwischen altersmäßig wesentlich näher an mir dran und somit kann ich all das, was in ihr vorgeht, viel besser nachvollziehen und verstehen, was sie bewegt. 

Sag ich ja, Lorelai ist besser!
Inzwischen kommt man auch in das Alter, wo man sich eher mit Lorelai identifizieren kann. Also minus Tochter, die man ja nicht hat. Aber immerhin ist sie ja Anfang 30 am Anfang der Serie, das ist gar nicht so weit weg...
Ich weiß. Also ich identifiziere mich viel mehr mit Lorelai

Ich teilte meine spannende Beobachtung mit der lieben Patricia, die mir bestätigte: Eigentlich sind wir alle viel mehr Lorelai. Ob das damit zusammenhängt, dass wir inzwischen einfach so viel älter sind als Rory? Oder waren wir immer schon eher die Gilmore-Mutter und haben es gar nicht gemerkt? Fest steht, dass mein Lesepensum auch weiterhin dem von Rory entspricht und ich mit sechzehn ebenfalls jeden Klassiker der Literatur verschlungen habe - gerne auch mehrere pro Woche! Aber sonst? 

Wenn man mal ganz oberflächlich an die Sache herangeht und sich de Männergeschichten der Gilmore Girls ansieht, dann merke ich persönlich sehr schnell, dass ich zur Lorelai geworden bin. Fand man früher Rorys Jungs noch ganz nett, so stellt man heute fest: Lorelais Auswahl ist viel interessanter. Ich persönlich finde ja, dass Luke Danes der absolut beste Charakter der Serie ist, den ich zudem vom Fleck weg heiraten würde. Und die Zeit, in der er und Lorelai zusammen sind, ist einfach besonders schön. Aber auch Max Medina aus der ersten Staffel kann ich inzwischen viel abgewinnen (a man who knows his Shakespeare) und selbst Christopher, der ja bekanntlich einiges falsch gemacht hat, ist im Großen und Ganzen keine schlechte Wahl. Stellt man diesen Männern dann Rorys Jungs gegenüber, die alle noch irgendwie erwachsen werden müssen, dann merkt man einfach irgendwann, dass man aus dem Alter für Halbstarke mit Egoproblemen heraus ist. Wenn man schon Liebeskummer hat, dann bitte nicht wegen jemandem wie Jess, der ständig gegen alles und jeden rebellieren muss, weil er seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden hat.

Lorelai ist erwachsen. Muss sie auch sein, immerhin hat sie mit sechzehn eine Tochter gekriegt und musste sie alleine großziehen. Jetzt ist ihre Tochter in diesem gefährlichen Alter und sie als Mutter gefragt. Und auch, wenn sie sich selbst lieber als Rorys beste Freundin ansieht, so reicht das oft nicht aus. Sie muss auch die Autoritätsperson sein, Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen. Und dabei nicht aus den Augen verlieren, dass sie auch noch das Independence Inn leiten muss und den Traum eines eigenen Hotels nicht aus den Augen verlieren. Lorelais Karriere ist kein zentraler Punkt in der Geschichte, zumindest nicht immer, aber dennoch wichtig genug und vor allem ein Aspekt, den man aus dem eigenen Leben kennt. Denn gerade mit Ende zwanzig / Anfang dreißig ist man an einem Punkt angekommen, an dem der richtige Job ebenso wichtig ist, wie das private Glück. Lorelai jongliert das alles - auch, wenn sie manchmal nicht will und lieber zusammen mit ihrer Tochter Kind sein möchte. Und genau das ist vermutlich der Punkt, an dem ich mich persönlich so gut mit ihr identifizieren kann: Man muss erwachsen sein, auch wenn man es nicht immer will. Man muss ich zusammenreißen und all das erledigen, was einfach gemacht werden muss. Man kommt nicht aus. Rory kann sich auf ihre Mutter verlassen, die hingegen kann und möchte nicht bei ihren Eltern um Hilfe bitten. Als die Großeltern Rorys Schulgeld übernehmen fühlt Lorelai sich wie eine Versagerin. Aber zum Erwachsensein gehört manchmal auch, dass man über seinen eigenen Schatten springen muss. 

Lorelai ist sarkastisch, zynisch und redet schnell. Noch so ein Punkt. Sie liefert sich Wortgefechte mit jedem, ist nie um eine Antwort verlegen. Das mag ich an ihr und da sehe ich sie auch irgendwie als Vorbild an. Sie ist an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie weiß, dass sie viele Dinge ernst nehmen muss, aber auch manche eben nicht allzu erst nehmen sollte. Und es ist auch klar, dass man bei einer Lebensgeschichte wie der ihren nicht davon kommt, ohne ein wenig zynisch zu werden. Klar hat sie nicht immer alles im Griff, aber das ist genau der Punkt weswegen man sich gerne mit ihr identifiziert und das auch so einfach ist: Wer hat schon alles im Griff und ist perfekt? Wer hat immer die passende Kleidung für wichtige Termine parat? Wer hat einen prall gefüllten Kühlschrank und nicht nur Kaffee zuhause? Und natürlich auch: Wer sucht sich, auch mit Anfang dreißig, immer die richtigen Männer aus und weiß, wie man die perfekte Beziehung führt? Kann man sich mit so einer perfekten Person identifizieren? Ich hoffe nicht!

Mein Gilmore Girls Rewatch hat gerade erst begonnen und ich gehe davon aus, dass er sich bis Weihnachten hinziehen wird. Außerdem bin ich überzeugt davon, dass mir gerade der neue Blickwinkel und der Fokus auf Lorelai noch einiges Material zum Nachdenken geben wird. Und natürlich eine Menge Stoff, den ich hier niederschreiben werde. Man darf gespannt sein! 

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