Dienstag, 14. März 2017

AnnenMayKantereit und mein Zwiespalt mit dem Publikum

Im letzten Jahr war ich auf insgesamt zehn Konzerten und zwei Festivals. Das waren zwölf Highlights in einem ansonsten relativ bescheidenen Jahr. Wenn man das so niederschreibt, klingt es nach "gar nicht so viel", aber ich finde, man kann trotzdem sagen, dass ich regelmäßiger Konzertgänger bin. Davon ausgehend, dass ich in den meisten anderen Jahren auf ähnliche viele Konzerte gegangen bin, kommt da schon ein Sümmchen zusammen. Und auch für 2017 habe ich einiges geplant - bisher drei Konzerte und zwei Festivals und das ist mit Sicherheit erst der Anfang. 
(Und Nein, Ed Sheeran ist nicht dabei, obwohl er es natürlich sein sollte. Aber in dem Fall war ich dann ein wenig geizig. Und nicht schnell genug, muss ich zugeben.)

Gestern war ich auf meinem ersten Konzert in diesem Jahr. Reichlich spät, immerhin haben wir schon März, dafür ziemlich spontan. AnnenMayKantereit gaben sich die Ehre und das Konzert war quasi seit Beginn des Kartenvorverkaufs ausverkauft - und das war irgendwann im letzten Herbst. Aber das Schicksal meinte es gut mit uns, denn letzte Woche gab der Veranstalter noch ein kleines Kontingent an Karten frei - und wir schlugen zu.
(Kurze Anekdote dazu: Lukas, mit dem ich auf das Konzert ging, fragte mich bei einem kurzen Kaffee in der Büroküche: "Was machst du kommenden Montag? Lust auf ein Konzert? Es kommt jemand, den du so gern magst, dass du das Album auf Vinyl hast!" Es hat eine Weile gedauert bis ich auf die richtige Band kam, denn The Killers habe ich auch auf Vinyl, ebenso wie eben Ed Sheeran...)

Konzerte und Festivals gehören für mich zu den Momenten, die das Leben lebenswert machen. Im Idealfall ist man mit guten Leuten da, hat ein Bier in der Hand (optional, aber Bier ist ja bekanntlich immer gut), hört Musik, die man mag und am allerwichtigsten: Es stellt sich so ein wunderbares Gemeinschaftsgefühl ein. Man kann gar nicht anders, als mitgerissen zu werden von der Stimmung, der Musik und dem allgemeinen Freudentaumel. Ich finde, es gibt wenige Anblicke, die so faszinierend sind, wie eine begeisterte Menge, die einen Song mitsingt, der für jeden einzelnen im Publikum etwas anders bedeutet und doch alle berührt. 

Die Fans vieler Bands erkennt man schon auf dem Weg zum Veranstaltungsort. Frittenbude-Fans machen es einem z.B. sehr leicht, wenn einem von überall das Audiolith-Logo entgegen springt. Und auf dem Weg zu AnnenMayKantereit machte ich mir bereits in der Ubahn einen Spaß daraus, zu erkennen, wer dasselbe Ziel hatte wie wir und lag eigentlich immer richtig. Irgendwie waren alle ein bisschen Hipster und aus Versehen passte ich sogar noch dazu, weil ich statt meiner überdimensionierten Handtasche was gewählt hatte? Genau. Einen Stoffbeutel. Ooops.

Ich liebe Konzerte, ich liebe die gemeinsame Leidenschaft des Publikums. Und ich hasse Pärchen auf Konzerten. Wirklich. Es tut mir auch (eventuell) ein bisschen leid (oder auch nicht), aber ich kann das einfach nicht haben, wenn ich umzingelt bin von Menschen, die sich in ÖZB (Öffentliche Zärtlichkeitsbekundungen) üben und mir dabei die ganze Zeit vor der Nase herumhampeln. Dazu fallen mir im Grunde nur Zitate von zwei Freundinnen ein: "Ich finde, die wenigstens Pärchen können das ästhetisch", meinte die liebe Steffi zu mir, als ich mich wieder einmal aufregte und als ich mich gestern über eine besonders schlimmes Pärchen echauffierte, meinte Patricia "Ich habe eine Abneigung gegen Pärchen, die ich trotz persönlicher Unbekanntheit als Pärchen identifizieren kann". Damit ist eigentlich alles gesagt. Außer: Ja, ich weiß, dass ich dann einfach nicht auf Konzerte von Bands mit romantischen Liebesliedern gesehen sollte. Aber haltet euch doch bitte einfach ein bisschen zurück, manche Dinge will ich einfach nicht sehen. Vor allem nicht, wenn ich in einer Menschenmenge nur einen halben Quadratmeter Platz habe (geschätzt und gefühlt).

Konzerte sind für mich Wohlfühlorte. Im Idealfall. Und da lasse ich mir die Stimmung nicht verderben. Ich schimpfe dann ein bisschen über die Pärchen (again: not really sorry), aber sonst ist alles gut. Meistens. Gestern stand ich da inmitten des Publikums und war leicht aggressiv grundgestimmt. Vielleicht lag es an den beiden gefühlt zwei Meter großen Typen, die plötzlich vor mir standen, wahnsinnig viel Platz brauchten und alles angegraben haben, was weiblich war. Vielleicht auch an dem Kerl links von mir, der ständig nur am Meckern war ("Ich geh nie wieder auf ein Konzert in fucking München") und sich dabei eine Zigarette nach der anderen anzündete und mir mehrmals fast die Haare versengte. Vielleicht auch an der schier riesigen Anzahl an hippen Rucksäcken, die ich ständig in den Rücken gerammt bekam - ich weiß es nicht. Und es ist vor allem schade, denn ich mag mir meinen Wohlfühlort nicht kaputt machen lassen.

Das Gute an Konzerten: Eigentlich kann mir das wirklich niemand kaputt machen. Denn da ist ja immer noch die Musik. Die Band auf der Bühne, die im Idefallfall mit Leidenschaft und Freude bei der Sache ist (I'm talking to you, Alex Band. Du hast das wohl verlernt) und das Publikum mitreißt. Dann ist es zwei Stunden lang eigentlich ganz egal, was um einen herum passiert. Es sei denn, man hat plötzlich keine Sicht mehr auf besagte Band, weil einem fünfhundert Smartphones die Sicht versperren. Wenn das so viele sind, dass sogar der gute Henning May anfängt, singend darüber zu schimpfen, dass er nichts mehr sieht außer Handyhüllen, dann ist etwas gewaltig schief gelaufen...
(Und ja, auch ich strecke manchmal mein Handy in die Höhe. Für zehn Sekunden, die ich dann auf Instagram poste. Aber das war's auch schon, ich will nämlich a) das Konzert mit eigenen Augen sehe und nicht durch eine Linse und b) tatsächlich den Leuten hinter und neben mir nicht auf den Keks gehen.)

Bei einer Band wie AnnenMayKantereit, die ich wirklich sehr liebe, schafften es aber weder das (ich zitiere mich selbst) "widerlichste Pärchen des Universums", noch der kettenqualmende Motzer, mir meinen Wohlfühlort kaputt zu machen. Ich hatte lange nicht mehr Gänsehaut bei einem Konzert, aber beim Refrain von "Oft gefragt", der absolut großartig mit einer wunderschönen Lightshow untermalt wurde, ist es mir trotz gefühlten fünfzig Grad in der Halle so gegangen. Aber auch sonst hat die Stimme von Henning May einfach eine unglaubliche Wirkung auf mich. Ganz davon abgesehen, dass ich oft und gerne sage "Das ist die Band der Stunde für mich", weil ich mich in vielen ihrer Texte einfach wieder finde, mein Leben und das meiner Freunde entdecken kann und vor allem oft nicht weiß, welche Stelle ich gerne zitieren möchte, weil alle so gut sind. Oftmals kommt es auch auf die eigene Tagesform an. Gestern zum Beispiel ging ich mit dem Satz "Und du hältst deine Träume absichtlich klein, um am Ende nicht enttäuscht zu sein" im Kopf nach Hause. Durch hunderte von Leuten hindurch und an ihnen vorbei. Und vielleicht gingen sie mir während der Vorband oder der Wartezeit auf die Nerven, aber mit ihnen verbindet mich die Leidenschaft für diese Band und dieses Gefühl ist einfach etwas Besonderes. 

(Foto: Lukas Schneider)

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